PaaS 09 - Die Arithmetik der Prinzipien oder 500 Milliarden Gründe für ein Nein

Während die Union ihre Position zur Verfassungsänderung überraschend wandelt, entlarvt die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge das politische Kalkül hinter dem plötzlichen Sinneswandel und besteht kompromisslos auf der "Zusätzlichkeit" der Mittel für echte Zukunftsinvestitionen.

Die Arithmetik der Prinzipien oder 500 Milliarden Gründe für ein Nein

Die Neonröhren des Bundestags summten wie zornige Hornissen, als Katharina Dröge zum Rednerpult schritt. Der Plenarsaal roch nach Wollanzügen und dem metallischen Beigeschmack politischer Kalkulation. Es war 13:13 Uhr an einem Donnerstag im März 2025, und Friedrich Merz saß in der ersten Reihe wie ein Mann, der gerade entdeckt hatte, dass sein Fallschirm mit Wahlversprechen gefüllt war.

Ruhig atmen, dachte sie. Du kennst dieses Spiel seit zwanzig Jahren.

"Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Merz!"

Ihre Stimme trug mit der Präzision eines deutschen Uhrwerks durch den Saal. Merz' Gesicht blieb eine sorgfältig konstruierte Maske der Neutralität.

"Wir haben ja schon öfter miteinander über die Reform der Schuldenbremse diskutiert," fuhr sie fort. "Am 11. Februar, nach Trumps Wahl, nach dem Zerbrechen dieser Regierungskoalition, habe ich Ihnen noch einmal den Vorschlag gemacht, dass wir die Schuldenbremse miteinander reformieren könnten."

Februar. Die Erinnerung kratzte an ihrem Bewusstsein. Der Tag, an dem sie um fünf Uhr morgens aufgestanden war, ihr jüngstes Kind noch schlafend geküsst hatte. Der Tag, an dem sie auf dem Weg zum Bundestag vier Anrufe von besorgten Botschaftern erhalten hatte.

"Und Sie wussten, Sie hätten in dieser Zeit mit SPD und Grünen eine Mehrheit gehabt, das Grundgesetz zu ändern. Wir haben Ihnen immer wieder unsere Hand ausgestreckt."

Sie spürte das Gewicht des Dokumentenkoffers an ihrem Bein. Darin der ursprüngliche Entwurf mit den handschriftlichen Notizen aus drei durchgearbeiteten Nachtsitzungen. "Zusätzlichkeit" – unterstrichen, dreifach.

"Es war ein faires Angebot. Es war ein verantwortungsvolles Angebot. Es war ein staatstragendes Angebot."

Sie lehnte sich leicht vor, ihr dunkelgrüner Blazer spannte leicht um ihre Schultern. Kein Schmuck heute, nur die schlichte Armbanduhr. Eine bewusste Entscheidung, wie alles an diesem Vormittag.

"Sie haben sich für einen anderen Weg entschieden. Aus einem ganz einfachen Grund – Parteitaktik. Politisches Kalkül. Wahlkampf."

Die Worte landeten wie präzisionsgelenkte Geschosse. Ihre Finger zitterten leicht, unsichtbar für alle außer ihr selbst. Seit drei Wochen hatte sie den morgendlichen Kaffee gestrichen. Die letzte kleine Rebellion ihres Körpers gegen den permanenten Ausnahmezustand.

"Weil Sie noch nie in der Lage waren, die Interessen dieses Landes an die erste Stelle zu stellen und nicht Ihre eigenen."

Bleib sachlich, mahnte sie sich. Nicht persönlich werden.

"Und ich kann Ihnen sagen – ich wusste, dass wir diese Debatte hier noch einmal führen würden. Ich habe darauf gewettet, dass Sie hier stehen würden und sagen würden: Ich habe neue Erkenntnisse. Die Weltlage ist eine andere. Zufällig zu dem Zeitpunkt, wo ich selber Bundeskanzler werden möchte."

In der zweiten Reihe bemerkte sie ein bekanntes Gesicht aus ihrer Studienzeit in Köln. Jetzt auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Sie dachte kurz an ihre gemeinsamen wirtschaftspolitischen Seminare zurück, an die lebhaften Debatten über Schuldenbremse und Investitionen. Die Wege hatten sich getrennt, die Argumente blieben.

"Sie haben sich hierhin gestellt und gesagt, für das Wirtschaftswachstum wäre es notwendig, kreditfinanzierte Investitionen zu tätigen. Und ich sage ja, das war es auch in den letzten Jahren."

Auf dem Pult breitete sie ihre Notizen aus. Papier, nicht digital. Alte Schule. Ihr Blick glitt kurz über den Gesetzentwurf ihrer Fraktion. Drei Monate Arbeit. Unzählige Stunden mit dem Fraktionsteam, dem Rechtsexperten, den Haushältern. Ihre volkswirtschaftliche Ausbildung hatte sich als nützlich erwiesen.

"Es sind Unternehmen, deren Gewinne darunter gelitten haben, dass Sie sich geweigert haben zu handeln. Es sind Menschen in diesem Land, deren Arbeitsplätze auf dem Spiel standen. Das alles nur aus Parteitaktik, Herr Merz."

Die Zahlen sprechen für sich, dachte sie. Lass sie wirken.

"Es war ein Plan, der vorbereitet war. Es war ein Drehbuch, das geschrieben war. Von Hendrik Wüst über Daniel Günther bis zu Kai Wegener haben die Ministerpräsidenten den Weg vorbereitet."

Die Klimaschutz-Passage ihres Gesetzentwurfs lag aufgeschlagen vor ihr. Seit ihren Anfängen in der Umweltpolitik in NRW hatte sie gelernt, dass Klimaschutz immer erkämpft werden musste, Millimeter für Millimeter. Jetzt als Fraktionsvorsitzende trug sie diese Verantwortung in jeder Zelle ihres Körpers.

"Und jetzt sage ich zu dir, Lars, du hast dich gerade hingestellt und hast gesagt, Zusätzlichkeit sei euch wichtig."

Sie hielt ein Papier hoch, ihre Ökonomenaugen hatten dessen Inhalt bereits seziert.

"Ich habe mir den gerade angeschaut, das Wort Zusätzlichkeit steht da nicht drin. Deshalb schreiben Sie Zusätzlichkeit weiterhin nicht ins Grundgesetz."

Lass die Stille arbeiten, dachte sie und pausierte bewusst.

"Wer das ernst meinen würde, dass dieses Geld für Investitionen ist, die dieses Land so dringend braucht, der hätte kein Problem damit, das Wort zusätzlich ins Grundgesetz zu schreiben."

Der Saal war jetzt still und hing an jedem ihrer Worte. Sie spürte das Summen der Empörung aus der Unionsfraktion, das unterdrückte Nicken aus den eigenen Reihen. Ihr Atem blieb ruhig, kontrolliert.

"Und das zweite eigentümlich an dieser Stelle ist die Haltung: Für Klimaschutz sollen die Grünen kämpfen. Sie haben einen Vorschlag gemacht für eine Grundgesetzänderung, wo Klimaschutz nicht drin vorkam."

Für meine Kinder, dachte sie. Für alle Kinder.

"Als wäre die Zukunft unserer Kinder ein Privatproblem von Bündnis 90/Die Grünen. Sie alle haben auch Kinder. Sie alle haben auch Familien. Machen Sie das nicht immer zu unserem Privatproblem."

Das Manuskript des Gesetzentwurfs war ihr vertraut wie die Kratzer auf ihrem Küchentisch zuhause. Sie hatte um jedes Wort gerungen, jedes Komma, jede Nuance.

"Und wenn euer Angebot an uns jetzt wieder nur verschiebt, die Milliarden aus dem einen Sondervermögen in das andere, und am Ende kommt ein einziger Euro mehr Klimaschutz dabei raus – dann ist das ein Angebot, das nicht funktioniert."

Wir messen Ihre Politik an der Realität. Die Worte hallten in ihrem Kopf, bevor sie sie aussprach.

"Weil wir messen Ihre Politik an der Realität. Das ist das, wofür wir hier sind."

Sie wandte sich an die Linkspartei, ihre Stimme nahm eine neue Dringlichkeit an.

"Wir brauchen eine Partei, die sagt: Sicherheit bedeutet, das Überleben der Ukraine zu sichern. Sicherheit bedeutet, dass man ein Land, das angegriffen wird, in die Lage versetzt, sich selbst zu verteidigen."

In ihrem Büro lagen die Fotos ihrer beiden Kinder. Die Frage nach Sicherheit war für sie nie abstrakt gewesen, sondern handfest und persönlich.

"Das ist wahre Friedenspolitik. Friedenspolitik heißt nicht, das Opfer hilflos dem Aggressor zu überlassen. Das ist am Ende das Gegenteil von Frieden."

Als sie ihre Rede beendete, hallte der Applaus der Grünen-Fraktion durch den Saal. Es war 13:13 Uhr, und Friedrich Merz wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte. Der Mann, der einst Kanzler Scholz zugerufen hatte "Sie können es nicht!", fand sich nun in der unbequemen Lage, praktisch bei den Grünen zu betteln: "Ist Scheitern eine ernsthafte Option?"

Im Flur nickte ihr eine junge Abgeordnete anerkennend zu. "Stark", sagte sie.

Katharina lächelte dünn. Sie würde in zwei Stunden wieder im Ausschuss sitzen, würde Zahlen und Paragraphen diskutieren, während zu Hause in Köln ihr Mann den Kindern erklären würde, warum Mama wieder später kommt.

Ihr Smartphone vibrierte in der Tasche. Eine Nachricht ihres wissenschaftlichen Mitarbeiters: "Erste Reaktionen aus der Unionsfraktion. Wie erwartet."

Die Welt drehte sich weiter. Die großen Fragen – Klima, Sicherheit, Verteilungsgerechtigkeit – blieben. Wie ein Echo ihrer eigenen Worte hallte es in ihr nach: Wir messen Ihre Politik an der Realität.

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